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„Musik ist meine Sprache – ich spreche durch die Musik.“ (Aki Takase)

Dass Musik bisweilen als Sprache wahrgenommen und auch verstanden wird, allein das schon spricht für eine enge Beziehung beider Ausdrucksformen. Nicht von ungefähr hat es das Wort „Musiksprache“ ins allgemeine Vokabular geschafft. Sie kann auch Inhalte transportieren, die verbal „unaussprechlich“ sind. Und nicht selten wird das Bild vom Instrument als einer Art verlängertem Sprachrohr bemüht, das das Innere nach außen trägt. Dann wiederum gibt es Worte, die dank ihres onomatopoetischen Charakters musikalisch wirken und allein der reine Klang die sprachliche Bedeutung erahnen lässt. „Forte“ ist so eines.

FORTE. Spricht man das Wort aus, schwingt sofort etwas von dem mit, was es meint. Und dass Aki Takases Musik nicht nur stark und kräftig klingt, sondern auch Stärke und Kraft vermittelt, wer wollte das bestreiten – auch wenn diese Eigenschaft nur für eine von vielen Facetten ihres Spiels steht. Und diese Präsenz, diese Power zeichnet auch die Pianistin als Menschen aus, in dem Sinne sie durchaus, ja, eine „Power-Frau“. „Sei stark!“ Das sei ihr Motto, so der Saxofonist Daniel Erdmann. Positive Energie strahlt sie aus – und eine solche ist heute womöglich mehr denn je vonnöten. Für Aki Takase steckt im Wort „forte“ durchaus so etwas wie eine Botschaft: „Die harte Realität überwinden und in dieser Zeit mit Musik vorankommen – wir wollten einen starken Willen zum Ausdruck bringen.“

Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album. Von jenem Rückzug in eine Innerlichkeit, von einem nach innen gekehrten musikalischen Eskapismus, der noch vor nicht allzu langer Zeit so viele Pandemie-Produktionen prägte – keine Spur. Im Gegenteil. Forte ist extrovertiert, nach außen gerichtet.

Nicht nur in der Berliner Szene wirkt Takase seit langem als Antriebskraft, als kreativer Dynamo. Und ein nicht unerheblicher Teil dieser Dynamik speist sich aus ihrem bejahenden Naturell, aus einer durch und durch positiven Grundhaltung, come what may. Und damit kommen wir noch einmal zurück – zur Sprache.

JAPANIC. Ein Wort, das es eigentlich nicht gibt. Aber ein Wortspiel hat es zur Existenz verholfen. Und wer will, kann in ihm Einiges entdecken. Etwa das schöne Wörtchen „ja“, das Positives signalisieren kann, im Sinne von: yes, we can! Zwei Buchstaben, die obendrein die erste Hälfte des Wortes „Jazz“ ausmachen – und um gleich möglichen Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die Musik von Japanics Forte i s t Jazz. Dann verweist das Wortkonstrukt natürlich auf Aki Takases Herkunft, Japan. Und nicht zuletzt steckt in ihm jene „panic“, Anflüge von Panik, die uns angesichts des Status Quo von Mutter Erde ereilen und denen die Gruppe namens Japanic mit Forte kräftig entgegenwirken möchte.

Nach ihrem Debüt Thema Prima von 2019 präsentiert sich die Band auf ihrem zweiten Album als geeinte Kraft von Gleichgesinnten und –gestimmten. Der Saxofonist Daniel Erdmann, der kurz bei Aki während ihrer Gastprofessur an der Hanns Eisler Hochschule für Musik studierte und anschließend in Takases Sextett integriert wurde, pflegt seit Jahren einen improvisatorischen Dialog mit der Pianistin. Zur Hoch-Zeit der Corona-Krise spielten sie ihr Duo Isn‘t it Romantic? (BMC 301) ein.

Der norwegische Schlagzeuger Dag Magnus Narvesen, Mitglied u.a. des Kitchen Orchestra und Leiter seines Oktetts Damana, ist zudem Duo-Partner von Akis Ehemann Alexander von Schlippenbach (Interweaving und Liminal Field, Not Two Records).

Im portugiesischen Bassisten und Wahl-Berliner Carlos Bica hat Japanic seit 2023 ein neues Mitglied, als Nachfolger von Johannes Fink. Bekannt wurde er durch seine Zusammenarbeit mit Maria Joao, jener Sängerin, mit der Takase in den 80er Jahren eine lange Tradition hoch-origineller Duette einleitete.

Vincent von Schlippenbach alias DJ Illvibe, einer der virtuosesten Turntable-Spezialisten und als kreativer Platten-Bearbeiter Verkörperung der Annahme, dass die Welt eine Scheibe sei, machte u.a. das Album „Lok 03“ (Trost Records) mit Aki und seinem Vater zu einer family affair. Mit Bica und Erdmann ist er auf der Produktion I am the Escaped One (Clean Feed) zu hören.

Als Gäste von Japanic tauchen auf Forte zwei Altvertraute Takases auf. Zum einen Alexander von Schlippenbach, jener Pionier des europäischen Free Jazz, mit dem sie 2023 ein weiteres Duo einspielte, diesmal vierhändig am heimischen Flügel (Four Hands Pieces, Trost Records). Zum anderen der Posaunist Nils Wogram, u.a. beteiligt an einer von Akis diversen freigeistigen, liebe- und humorvollen Umarmungen jazzmusikalischer Tradition (Aki Takase Plays „Fats“ Waller, Enja Records).

Die Musikerin hat sich schon immer für Sprache interessiert, für Literatur und Poesie. Aber eben auch für nonverbale Sprachen, für Ausdrucksformen wie etwa Tanz (Tänzerin zu werden, war ihr allererster Berufswunsch – und Aki pflegt weiterhin ihre Duo-Reihe Die Stadt im Klavier mit der Tänzerin Yui Kawaguchi) oder auch die Malerei.

Forte eröffnet mit „Festa Magdalena“, einer Widmung an Takases erklärte Lieblingsmalerin Frida Kahlo. Die Mexikanerin war des Öfteren Thema einer gemeinsam mit der Schriftstellerin Yōko Tawada realisierten Hommage im Rahmen einer Workshop-Reihe Language & Music (sic! There we go again…).

Das Kompositorische, das eigene Schreiben hat bei Takase in den letzten Jahren an Gewicht gewonnen. Allerdings nie auf Kosten des Spontanen, des ungefilterten improvisatorischen ad-hoc-Ausdrucks im Hier und Jetzt. „Step Skip Stop” kommt einer non-verbalen Vorstellung der Band gleich, in der sich jedes einzelne Mitglied (und Nils Wogram als Gast) solistisch präsentiert.

Daniel Erdmanns „An jeder Kreuzung liegt eine Erinnerung begraben“ – hier in Quintett-Version – hat Aki bereits des Öfteren mit dem Komponisten im Duo gespielt. Eine poetisch anmutende Überschrift für eine schöne Geschichte: „Das Stück ist meinem Fahrlehrer gewidmet. Mit achtzehn bekommt man Geld, um einen Führerschein zu machen, davon habe ich mir ein Saxofon gekauft. Irgendwann habe ich dann doch meinen Führerschein gemacht und hatte einen sehr lustigen Fahrlehrer, der mich ‚mein großer Freund Erdmann‘ nannte. Ich war sein letzter Schüler, danach hat er einen Berufswechsel vollzogen.“

„Ma non Troppo“ verweist einzig durch den Titel auf eine frühere Komposition Alexander von Schlippenbachs, auf „Akiko ma non Troppo“ (die er mit dem Schlagzeuger Sunny Murray aufnahm). Für Aki geht es in dem Stück darum, „dass jeder Musiker die Motive, die er sich ausgedacht hat, in verschiedenen Geschwindigkeiten weiterspielt.“ In dieser Idee spiegelt sich einmal mehr der Einfluss von Conlon Nancarrow, der seine Kompositionen für Selbstspielklaviere in die Notenrollen stanzte und dabei diverse Tempi, Rhythmen und Metren überlagerte.

Das Takase-Narvesen-Duo “I Want to Know Sweet Music” kommt einem kurzen Intermezzo gleich und ist ein weiterer Beleg dafür, dass Akis so ungemein differenzierte Anschlagskultur nicht nur eine forte kennt.

„Japanic Macrokosmos“, ein Titel mit Erklärungsbedarf. Komponist Daniel Erdmann klärt uns auf: „Das Stück hat – durchaus typisch für Japanic – verschiedene Schichten, ein statisches Element und darüber freischwebend ein komponiertes Element. Das ist sozusagen der ‚Japanic Macrokosmos‘, die Musik von Aki ist ein unglaubliches Universum, das immer neue, überraschende Galaxien öffnet und keine Grenzen kennt! Ich kenne niemanden, der es schafft, so viele Welten in einem Projekt zusammenzubringen.“

Als weitere Kraftquelle gönnen sich das Quintett und Wogram einen „Alinamin Drink“, ein japanisches Nahrungsergänzungsmittel, in den Worten Akis „ein Ausdauergetränk für energiegeladene Leistungen – und meine regelmäßige Medizin.“ Forte!

Mit voller Kraft voraus stampft der Japanic-Express in „Timeless Story“ durch den Makrokosmos, angetrieben von einer motorisch durchgehenden Bewegung von Akis und Alex‘ vierhändigem Klavier „als Grundlage für Improvisations-Sequenzen, bei denen jeweils ein anderes Instrument eine Leadfunktion hat. Ich wollte die Freiheit der Musik zum Ausdruck bringen, die sich wie ein Zug, wie eine Lokomotive durch Zeit und Raum bewegt.“

So richtig in Fahrt gekommen, liefert die Band in Dag Magnus Narvesens (ursprünglich für sein Oktett Damana geschriebenem) „Woe the Row of Foes“ das nächste Beispiel, das einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Beendigung der Energiekrise liefern könnte.

Und es mag nicht überraschen, dass Forte mit seinem Appell an eine lebensbejahende, kraftspendende kollektive Zuversicht mit tönendem, humorvollem Optimismus, mit einem Stück gute Laune schließt. Der ohrwurmige Standard „(I’m) Confessin’ (That I Love You)”, 1929 von Fats Waller & His Babies (und 1997 von Takase und Rudi Mahall, Duet for Eric Dolphy”, Solid Records) aufgenommen, erklingt hier als charmante Romanze zwischen Aki und dem Posaunisten ihres einstigen Waller-Projekts, Nils Wogram. Sie spricht mit ihm und er mit ihr.

Ganz ohne Worte…

Karsten Mützelfeldt

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